Vorwort

Wenn Pädagogen und Psychologen die ersten Jahre im Leben eines Menschen als die prägenden bezeichnen, jene, die in gewisser Weise das gesamte weitere Leben, wenn schon nicht vorhersagen, so doch bestimmen und später oft in langen psychotherapeutischen Sitzungen mühsam aufgearbeitet werden müssen, um das eigene Sein als Ist zu verstehen und zu akzeptieren, so ist es wohl wert diese Jahre und die Erinnerungen daran zurückzuholen und lebendig zu erhalten. Die Trennlinie dessen, was wahr ist, was Fantasie und was mangels Erinnerung nur aus Erzählungen im Gedächtnis haften blieb, ist fließend. In Wirklichkeit ist es auch unwichtig, diese Grenze in jedem Detail zu kennen.

 

Was für den Menschen als solchen gilt, gilt im selben Maß auch für Zeitalter. Die frühen sechziger Jahre, die Zeit des Wirtschaftswunders, des Konjunkturaufschwunges, von dem man damals gleich einem Kind glaubte, es würde wie die Kindheit und Jugend niemals enden, waren ein solches Zeitalter. Die volle Kraft des Lebens, so dachte man, würde niemals in Reife, Niedergang und zuletzt auch im Sterben und Tod enden. Auch diese Zeit, eine Zeit dieses unreifen Glaubens an die Ewigkeit des Jetzt, war eine Kindheitszeit. Auch daran gilt es sich zu erinnern. Auch dorthin gilt es hinzusehen.

 

Der Erzählband „Von Aspern auf die Kreta“ beschreibt die Erlebnisse und Erfahrungen eines Kindes von Beginn seiner ersten Erinnerungen an bis zu seinem elften Lebensjahr. Es sind Geschichten des Herauswachsens aus der vollkommenen Unbefangenheit des Kindseins, des Hineinwachsens in die Adoleszenz und die Welt der Erwachsenen ohne dort noch angekommen zu sein. Das alles eingebettet in die Wirtschaftswunder-Aufbruchsstimmung, einer Zeit, die die gleichen Erfahrungen machte wie dieses Kind: heraus aus der Enge der Nachkriegsära und auf dem Weg hinein in die Hochkonjunktur. Die Schwarz-Weiß-Sicht eines Kindes ohne die Kenntnis der vielen Graustufen des Lebens als Sinnbild für die Sicht der Welt jener Zeit.

 

Der Weg des Kindes führt von Aspern, einem damals noch sehr ländlichen Vorort von Wien, auf „die Kreta“, eine der verrufensten Gegenden der Stadt. Aspern und die Kreta als Marksteine auf dem Weg der langsamen Reifung des Kindes werden zu Metaphern für den Weg heraus aus der liebevollen und heimeligen Welt, die die Eltern dem Kind auf seinen Weg mitgeben wollten, hinein in die Wirklichkeiten des Lebens. Genauso sind sie auch Metaphern für die zu Ende gehende fast biedermeierliche Lollypopzeit der fünfziger Jahre und die herandämmernde neue Zeit mit Popkultur, Vietnamkrieg und der 68-er-Bewegung.

 

Dass ich selber der Protagonist der Erzählungen bin, spielt auf dieser Reise keine große Rolle mehr, ist aber wert zu erwähnen. Wer sich in der einen oder anderen Form selbst wiederfindet – gleich ob als reale Person der Geschichten oder im übertragenen Sinne - dem sei dieses Buch gewidmet.

Die Geschichten und die darin vorkommenden Personen sind real. So real, wie sie in meine Erinnerung eingebrannt sind, was nicht bedeutet, dass sich alles tatsächlich so und nicht anders zugetragen haben muss.